Kommerz- oder Genusslauf

Als ich kürzlich einen ehemaligen Trainingskollegen traf und ihn fragte, ob er auch am Jungfrau am Start stehen würde, meinte er «nei, das isch mir zviu Kommerz, ig mache, wes geit, lieber dr Sältäbach-Trail, dert chan ig d’Landschaft o gniessä…»

Trotz den schlechten Wettervorhersagen herrschte beim Treffpunkt «Brunnen » eine gute Stimmung. Keine Spur von Nervosität und die Vorfreude auf einen abwechslungsreichen Lauf war bei allen LT-Läufern offensichtlich. «Ä guätä Louf u gniessets»…äs isch ja Läuferwätter…»

Kurz nach dem Start zwängten sich hunderte von Supportern und Fans in die spärlich bereit stehenden und bereits überfüllten Züge. Ich kenne keinen Lauf, wo die Läufer aus den fahrenden Zügen so frenetisch angefeuert werden wie am Jungfrau-Marathon. Als Sportler jetzt aber ja nicht in Euphorie fallen, das Renntempo unnötig beschleunigen und später für den Effort büssen. Auch in Lauterbrunnen wurden die Läufer wie gewohnt lautstark angefeuert. Bei Streckenhälfte genoss mancher Teilnehmer/in das Bad in der Menge… jetzt beginnt das eigentliche Rennen. Die Steigung gemütlich angehen oder so schnell wie möglich nach Wengen kommen? Ich wählte natürlich den bequemeren Weg und beobachtete die Spitzenläufer vom Zug aus.

Oberhalb der Allmend hatte sich die «Guggemusig» eingerichtet und spielte den Hit «s’ isch ja nur äs chlises Träumli gsi»… ja das passte irgendwie… »u wie geits äch üsnä Läufer? Si si immer no so zuversichtläch u uf gschteut?»

Nach der Allmend, bei km 35 wartete ich auf die Spitze des Feldes. Plötzlich biegen die ersten Läufer um die Kurve und laufen an mir vorbei Richtung Wengernalp. Streben die Spitzenläufer doch sehr zielstrebig und fokussiert der Scheidegg entgegen, nehmen die «Mitläufer» ihre Umgebung doch viel mehr wahr. Als ich als Junior am Amsoldinger Geländelauf teilnahm, fragte mich der Sieger nach dem Ziel, wo ich den Anschluss verloren habe? «am See»…«ha kei See gseh»… «äbe, drumm gwinnsch ja meischtens»

Erwartungsgemäss passierte Gerhard al erster bei km 35 und strebte erneut einem Topresultat entgegen. Er ist in einer beneidenswerten Form. Kurze Zeit später tauchte auch Doris auf, locker und geschmeidig wie eine Berggazelle, überwand auch sie die Steigung. Nach und nach passierten die Läufer «meinen» Posten. Langweilig wurde es mir nie… eine kurze Begleitung, einige aufmuntere Worte, ein Schluck Cola, ein Spässchen mit dem «km Girl». Am Abend, beim Ranglistenstudium habe ich fest gestellt, wie viele mir bekannte Läufer ich verpasst habe… sorry…!

Es ginge aber auch so:… am letzten Jungfraumarathon stand mein Berufskollege plötzlich vor mir: «und wo mache mir d’Foto?» Ich war sehr erfreut über die sehr gute körperliche Verfassung der Teilnehmer. Meine Befürchtungen haben sich letztendlich nicht bewahrheitet. Auch wenn nicht alle ihren «heimlichen» Zeitplan einhalten konnten… die Läufer/innen welche km 35 passierten, schafften es, nicht zuletzt dank ihrer Jungfrau Routine, bis auf die Kleine Scheidegg.

Kommerz- oder Genusslauf? Ich denke es ist Beides… am Anfang stand das sportliche Abenteuer auf einer abwechslungsreichen Strecke in einer schönen Landschaft im Fokus. Mit dem anhaltenden Erfolg kam immer mehr Kommerz ins Spiel…und die Vermarktung und die Geldmaschine wurde angekurbelt…

Im Zug zurück nach Wengen und später nach Interlaken, sass ich umringt von erfolgreichen und zufriedenen Jungfrau-Finishern… «ja das schlechte Wetter im oberen Streckenteil und die fehlende Fernsicht… die obligatorischen Krämpfe beim Brüggli S… der Blockstart, der den Stau nach dem Wixilift noch verschlimmerte… die Duschsituation war einmal mehr eine Katastrophe… aber

… äs hets säch glohnt u eigentläch… ig ha jedä Ougäblick gnossä… …o wen ig morn hingerzi Stägä uechä muess, u am Mäntig dr Lift iz Büro muess nä…

Thomas