Durch die Strassen von Berlin

Aufmerksam haben wir Jungs auf den hinteren Fensterplätzen unserem Lehrer zugehört, wenn er uns die Geschichte von längst vergangenen Zeiten erläuterte. So auch die Entstehung des Marathonlaufes nach der Niederlage der Perser bei Marathon, oder zu einem späteren Zeitpunkt, die Rolle der Stadt Berlin im vergangenen Jahrhundert. Ansonsten konzentrierten wir uns während der Schulzeit mehr auf das Treiben auf dem Pausenplatz.

40 Jahre später fühlte ich mich fit genug, sowohl Berlin zu erkunden, als auch am BMW Marathon teilzunehmen. Während einer Woche wollte ich mich für einmal sehr seriös auf ein bevorstehendes Rennen, mit dem ambitionierten Ziel 3:10, vorbereiten: Ausspannen, die Natur geniessen, lockere Strandläufe der Ostsee entlang, gesund essen, kein Kaffeekonsum mehr, Magnesium einwerfen…

Nach einer Woche trafen wir ausgeruht in der „Möchte-gern-Hauptstadt Europas“ ein. Bei der Startnummernausgabe begegneten wir Adrian, der kurz vor seinem ersten Marathon sehr ruhig wirkte und dem morgigen Tag gelassen entgegen sah.

Am nächsten Morgen herrschte im Startgelände „äs riesä Gnusch“. 42‘000 Läufer die in die Startblöcke drängten, von freundlichen, aber resoluten Helfern dirigiert, aufgehalten, umgeleitet und durchgelassen wurden… „das cha itz ja niä guet cho“! In Mitten dieses Läuferfeldes wartete auch ich in meinem Schweizerleibchen ungeduldig auf das Startsignal. Um 9.00 war Alles (?) bereit und die Menschenlawine setzte sich in Richtung Siegessäule in Bewegung. Als erstes Etappenziel wollte ich die Halbmarathonmarke in 1:33 passieren. Adrian ging das Rennen etwas ruhiger an und bemerkte bereits nach km 16, dass sich an einem Fuss langsam eine Blase bildete. Die Berliner Marathonstrecke gilt als sehr schnell, aber der Asphaltbelag ist überall gleich hart! „da muesch cool blibä, u di uf öppis angers konzentrierä, uf Zuschauer oder so, u vo denä hetz ja hie me aus gnuä“. Ja, die Unterstützung am Strassenrand war gewaltig. Auf der ganzen Strecke spielten Bands und andere Musikformationen und vor der Schweizer Botschaft stand sogar das Personal mit Kuhglocken und feuerte die Läufer, vor allem die Schweizer Teilnehmer, an.

Adrian konnte seine angeschlagene Pace bravourös durchziehen und auch ohne Satellitenverbindung ein perfektes Rennen laufen und auch die Blase am Fuss ausblenden. Mein Motor hingegen begann nach der Halbmarathonmarke, welche ich noch „zeitgerecht“ erreicht hatte, immer mehr zu stottern. Nach km 33 hatte ich bereits das dritte Gel heruntergewürgt und es lief nicht wirklich besser.

Während Adrian seinem anvisierten Ziel in 3:20 zu finishen entgegen steuerte, passierte mich der Ballon 3:15. Widerstandslos liess ich ihn ziehen und verweilte lieber noch etwas länger an der Zwischenverpflegung. In Richtung Brandenburgertor wurde ich wieder vermehrt mit Hopp-Schwiz-Rufen angefeuert. Jetzt war ich richtig froh über jede Aufmunterung und näherte mich mit jedem Schritt dem Zielband. Vorbei an vielen Läufern, die sich mit Krämpfen Richtung Ziel quälten oder sich am Strassenrand übergaben, durchquerte ich die letzte Linkskurve und lief Richtung Brandenburgertor dem Ziel entgegen. Getragen von den vielen enthusiastischen Zuschauern. Einen solchen emotionalen Zieleinlauf hatte ich noch nie erlebt. Ich freute mich wie früher als kleiner Junge als ich sehr glücklich war… auch wenn ich die angestrebte PB verpasst hatte. Was wiegt schlussendlich mehr? Ein Zieleinlauf in Berlin oder die kurzzeitige Freude über eine neue PB...?

Herzliche Gratulation Adrian für die Punktlandung bei deinem Marathondebüt: 3:20 angesagt, 3:20:01 gelaufen…! Ich bin überzeugt, mit deiner Ruhe, Gelassenheit und deinem ausgeprägtem Tempogefühl ist noch Einiges möglich. „Ja, di 2 Sekunde ergere mi scho chli, aber mau luege wis z‘nächschtä Mau geit!“

…für mich ist und bleibt der Marathonlauf die Königsdisziplin der Langstreckenläufer …

Thomas