Unterwegs

Als ich am Morgen früh Grindelwald erreiche, muss ich plötzlich an die Alpinen Bergsteiger denken, die in den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts vergeblich versuchten die Nordwand des Eigers zu bezwingen. Es klart auf, der Berg ruft, heute ist Eigerwetter pflegten damals die wage-mutigen Bergsteiger zu sagen. Auch heute zeichnet sich herrliches Bergwetter ab und die berühmt berüchtigte Nordwand ist omnipräsent und fast von der ganzen Laufstrecke des Eiger-Running-Trails sichtbar.

Punkt 4.30 h ist der Start des Ultra-Laufes über 101 km. Neben Gerhard Mühlemann ist auch Stefan Pritz am Start. Akribisch hat er sich auf dieses Rennen vorbereitet. Nichts hat er dem Zufall überlassen: Jedes Detail der Ausrüstung wurde in den Trainingsläufen sorgfältig getestet… der Umfang der Trainings wurde massiv erhöht… der Regeneration und der Massage grösste Beachtung geschenkt…die Vorbereitungs-rennen sorgfältig ausgewählt. Alles muss am Eigertag bereit sein.

Christa und ich fahren mit der Gondelbahn zu den ersten Betreuungspunkten First und Bort. Unsere Vorfreude wird aber leider bereits früh getrübt. Schon bei den Passagen First und Bort kann Stefan seinen Zeitplan nicht einhalten und klagt bereits sehr früh über Magen- und Darmprobleme. In Bort machen wir ihm Hoffnung… das Rennen hat ja erst begonnen und reden im „gut“ zu „einfach locker weiterlaufen und den Rhythmus finden“. Als passionierte Läufer wissen wir beide, dass es schwierig wird. Aber wir sind noch überzeugt, dass es besser wird.

Während Christa in Burglauenen auf Stefan wartet, fahre ich mit der Bahn hinauf auf die Schynige Platte und verfolge das Rennen live vor Ort und via Handy.

Schon bald einmal müssen wir aber einsehen, dass sich der Gesundheitszustand von Stefan nicht verbessert. Im Gegenteil, auf Grund der mangelhaften Nahrungsaufnahme wird der Körper immer mehr geschwächt. Auch eine einstündige Auszeit im Sanitätszelt im Oberläger, mit medizinischer Betreuung, bringt nicht die erhoffte Wirkung.

Da sich der Rückstand auf seine persönliche Marschtabelle massiv vergrössert hat und die gesundheitlichen Probleme zugenommen haben, muss sich Stefan nun doch ernsthaft mit einer Aufgabe des Rennens befassen. Alles auf die Karte Eiger gesetzt, die ganze Saisonplanung auf dieses Trailrennen ausgerichtet und jetzt das … unvorstellbar! In der Zwischenzeit passiert plötzlich Cécile die Schynige Platte. Super, wie sie läuft… kurze Begrüssung und Anfeuerungsrufe… sie winkt zurück und weg ist sie in Richtung Burglauenen. Ja wenn es läuft, dann läuft es… ich freue mich auf jeden Fall riesig und warte aber weiterhin auf Stefan.

Kurz vor 15.00 h erreicht Stefan die Schynige Platte. Er hat sich in der Zwischenzeit entschlossen noch den Abstieg nach Burglauenen in Angriff zu nehmen und wenn möglich noch den direkten Weg nach Grindelwald ins Ziel zu nehmen. Aus der Traum. Aber ein vernünftiger Entscheid. Während dem Abstieg macht mir Stefan einen gelösten und ruhigen Eindruck, wie wenn plötzlich ein grosser Erwartungsdruck weg ist.

Völlig mitgenommen erreicht Stefan schliesslich das Ziel in Grindelwald. Auch wenn das hoch gesteckte Ziel nicht erreicht wurde… herzliche Gratulation Stefan für deine Leistung und das Eingestehen, dass es besser ist den Anstrengungen Tribut zu zollen!

Und…die Eigernordwand ist auch erst nach mehrmaligen, tragischen Vorfällen bezwungen worden.

Man kann und darf fallen, wichtiger ist aber wie man wieder aufsteht… (und weiter läuft).

Thomas